Heute Morgen war ich noch ganz euphorisch. Wir hatten ein Rehkitz def. vorm Tod bewahrt. Ein weiteres wahrscheinlich und eins, das wäre wohl auch alleine davongelaufen. Mind. 8 erwachsene Rehe haben wir auf gescheut, davon mind. 1 Bock. Traurige Wahrheit ist, 2 tote Kitze. Eins hatte der Mäher erwischt, dass vielleicht wieder in die Wiese zurückgelaufen ist. Eins wurde erwischt, das hätte nur durch die Wärmebildkamera gefunden werden können, da es noch sehr klein war und die hat es nicht gefunden.
Was oder wer war schuld daran, dass diese 2 Kitze sterben mussten? Die gute Laune war weg, ich hab jetzt genug vom Heu.
Als ich von der Wiese zurückging fiel mir wieder die Geschichte ein, die mein Vater kurz vor seinem Tod erwähnte. Er erzählte von 2 toten Kindern, die auf unserem Hof waren. Ich wusste, dass meine Oma noch 2 Totgeburten nach dem Tod, ihres jüngsten Sohnes mit 2 Jahren, hatte.
Als ich zurückging dachte ich auch die 2 Rehmütter, die heute Abend vergeblich ihre Babys suchten. Wenn ich diese Zeilen schreibe, zerreißt es mir das Herz. Ja auch meine Oma hat viel Schmerz erfahren durch diese Erfahrungen. Verarbeitet wurde sowas früher nicht. Man arrangierte sich mit dem Leben und ihm Fall meiner Oma bekam man kein Kind mehr. Das wusste ich aus Erzählungen, da mein Opa wohl schon noch Kinder wollte.
Das ist heuer das 5. Jahr, wo wir wieder selbst Heu machten. Nie ist jetzt was passiert. Waren es wirklich die 10 Tage, die wir früher mähten. War es das kalte Frühjahr, wodurch die Rehe später auf die Welt kamen oder war es die Tatsache, dass die Mutterwunde gefühlt werden muss.
Ich hatte heute auch mit den Jägern gesprochen und das schlimmste für die Rehe, in unserem Gebiet, sind zwei vielbefahrene Straßen. Es ist keine Entschuldigung, aber es ist das Leben.
Was bedeutet es „die Mutterwunde fühlen“? Über meine Arbeit weiß ich, dass man die Verletzungen noch mal fühlen muss. Es möchte gefühlt werden, dann wird es leichter, dann verschwindet es. Diese Wunde kann ich jetzt mit den 2 Rehen fühlen. Es fühlt sich beschissen an und es dauert jetzt wohl auch seine Zeit, bis es durch ist. Sowas kann nicht einfach abgeschüttelt werden.
Ich glaub ja sowieso, dass man wieder geboren wird. „Mieses Karma“ ist zwar ein lustiges Buch und vielleicht nicht ganz ernst zu nehmen, aber tatsächlich glaub ich, dass man über Erfahrungen und den Tod sich weiterentwickelt. Ja ich denke das ganze beginnt in einem Tierkörper und irgendwann bekommen wir im Menschenkörper die Chance. Vielleicht ist es auch mal ein großes Geschenk nochmal als Tier zu inkarnieren und so dem lästigen Verstand zu entkommen.
Natürlich will ich alles vermeiden, dass es das nächste Jahr nicht nochmal passiert. Ich werde nächstes Jahr auch noch Säcke aufstellen, damit die Geißen ihre Kitze rausholen. Ich weiß so wurde es früher gemacht und es war keine Garantie. Ja vielleicht muss man Altes und Neues zusammenbringen, damit die bestmögliche Lösung gefunden werden kann.
Ich werde mit Sicherheit heute noch draußen auf der Wiese mich dem Schmerz stellen um zu fühlen was gefühlt werden soll.
Das ist die tägliche Arbeit, die ich mit der Pferdearbeit mache. Wir fühlen Geschichten aus vergangen Zeit um befreit weitergehen zu können. Tatsächlich hab ich letztes Jahr einen Workshop gemacht, der Mutterwunde hieß, aber damals kam die Geschichte zum Vorschein, von dem 2-jährigen Sohn meiner Oma in Verbindung mit meinem Vater. Ja jetzt ist es wohl Zeit dafür. Uns sind Themen unbewusst und durch das tägliche Leben werden sie hervorgerufen. Natürlich ist dies Geschichte jetzt nicht schön, aber wenn es vermeidbar gewesen wäre, hätte ich es vermieden. Für mich ist es wichtig, dass ich tatsächlich diese Geschichte durchleben kann, ohne dass ich in ein tiefes Loch falle. Das passiert nämlich, wenn ich es wieder unter dem Deckel „ich möchte es nicht fühlen“ schließe. Ich musste das alles auch fühlen als Kind, aber damals hatte ich keine andere Möglichkeit, als es zu verschließen, sonst hätte ich es vielleiht nicht überlebt.
Jetzt ist die Zeit, unsere und die Vergangenheit der Ahnen, aufzuarbeiten.
Keiner behauptet, dass es einfach ist, aber es ist notwendig, wenn wir weitergehen wollen.
Für den der sagt, ja dann fühl doch nächstes Mal bitte vorher…sorry ich bin auch bloß ein verletztes Wesen, dass diese Zeit dafür nutzt es so gut wie möglich zu machen. Ich konnte ein Trauma auflösen nur dadurch, dass ich es noch mal gefühlt hatte.
Jetzt, ein paar Tage nach danach, weiß ich, dass ich alles noch mal fühlen musste, ich weiß auch, dass ich ein Element nicht beachtet hatte. War es doch das Element Luft. Ja ich bin die Sache mit dem Verstand angegangen und hab den Geist völlig vergessen. In meiner Arbeit geht es hauptsächlich um den Spirit. Das ist das Neue in meinem Leben und dennoch bin ich in diese Falle gegangen. Wir alle haben so viel gelernt und doch gibt es immer wieder Alltagssituationen, die wir auf die alte Weise lösen wollen. Ein Workshop ist nur ein Lernen von Neuen, um es im Alltag zu integrieren. Leider müssen wir auch immer wieder Fehler machen, damit wir uns nochmal intensivst mit einem Thema befassen.
Als ich am Abend nach der Mahd nochmal auf die Wiese ging, wollte ich mich bei den Rehmüttern entschuldigen und ich hab erwartet, dass sie bestimmt ihre Kitze suchen. Doch es war still. In dieser Stille nahm ich war, dass sie sagten: „Wir wissen, dass unsere Kinder tod sind.“ Ich dachte, natürlich wissen sie es. Sie sind ja verbunden. Jetzt kapierte ich, dass ich mit ihnen kommunizieren musste. Ich hab ihnen nicht bewusst gesagt, dass am nächsten Tag gemäht wird. Diese Verbindung, diese spirituelle Kommunikation, hab ich einfach vergessen, ich hab einfach gehandelt, wie früher. In den Workshops ist es für mich das normalste auf der Welt, doch gestern hab ich es einfach nicht gemacht. Vielleicht, damit diese Wunde heilen kann.
Das Bild ist entstanden als ich vor ca. 10 Jahren ein Rehkitz aus dem Zufluss zur Kläranlage gerettet hatte.
Der Männerschmerz ist ein Aspekt, den ich hier ganz außer Acht ließ, da dieses Thema einen eigenen Artikel bringt.
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